NRW LFDK 10.09.2019 13.14 Uhr

"Das Auto ist immer noch das Versprechen von Freiheit"

StattParkKultur: Drei Fragen an DIE HAPPY FEW

Künstler*innen und Expert*innen für Nachhaltigkeit verwandeln städtische Parkplätze für je einen Tag in Begegnungs- und Visionsräume – mitten in Detmold und Unna. Das ist die Idee von StattparkKultur im September 2019 rund um den Parking Day. Für das Projekt kooperieren das Landesbüro und die LAG 21 NRW – Netzwerk Nachhaltigkeit erstmals miteinander.

Hier sprechen die beteiligten Künstler*innen schon jetzt darüber, was sie für die Parkplätze planen, wie sie mit gereizten Reaktionen umgehen wollen - und warum die Mobilitätswende sie auch auf künstlerischer Ebene interessiert. Sina Ebell und David Schnaegelberger sind Teil des Kollektivs DIE HAPPY FEW. Am 20. September 2019 werden sie in einer Parklücke in Detmold eine Zeitkapsel für das Jahr 2035 in die Welt setzen und alle Bürger*innen einladen, im Autokino noch einmal gemeinsam mitzuerleben, warum wir Deutschen unsere Autos so lieben.

Sina und David, Deutschland ist ein Autoland. Verkehrswissenschaftler*innen sagen, die Mobilitätswende (d.h. verkürzt gesagt der Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel) sei eine der größten Herausforderungen im Kampf gegen den Klimawandel. Wie kann eure Kunst hier in die autoverliebten Köpfe dringen?

Liebe ist das entscheidende Stichwort. Was die Menschen an ihrem Auto lieben, sind zuerst die Möglichkeiten, die es ihnen bietet - auch wenn sie diese Freiheiten nur selten nutzen. Das eigene Auto ist, neben dem Wunsch nach Distinguierung, immer noch das Versprechen von Freiheit, Unabhängigkeit und Individualität.

Und wie das mit der Liebe und ihren Versprechungen so ist, ganz rational können wir eine Liebesbeziehung nie erklären. In einer Liebesbeziehung fragen wir nicht, was uns unsere Liebe kostet, oder ob es nicht bessere Alternativen zu ihr gibt. Wir waren, als wir jung waren, einmal verliebt und sind zusammengeblieben, so sehen wir die Beziehung der Deutschen zu ihren Autos; eine alternativlose Bindung.

Mit unserer Kunst wollen wir als erstes mit Detmolder*innen ins Gespräch kommen, sie im nächsten Schritt sensibilisieren und zeigen, dass es Alternativen zum eigenen Auto gibt, die sowohl ökonomisch, ökologisch wie auch sozial verträglicher sind als das eigene Auto vor der eigenen Haustür. Wir arbeiten im Moment an einem Fragebogen an Autoliebhaber*innen, aus dem sich, so hoffen wir, neue Fragen und eventuell auch Antworten ergeben. Wenn man so will sind wir Scheidungsberater, für die, die es wollen.

Wieso interessiert euch eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Verkehr bzw. Parkplatz? Kennt ihr Künstler*innen bzw. Projekte in anderen Ländern, die sich mit Parkplätzen beschäftigen? Haben diese euch inspiriert?

Mobilität ist ein anerkanntes Grundbedürfnis. Bewusst oder unbewusst verhalten wir uns alle dazu, täglich. Das Thema Verkehr betrifft gesellschaftliche Fragen auf vielen Ebenen: von der Umweltverträglichkeit über Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Teilhabe bis hin zur Frage wie wir in Zukunft wirtschaften wollen. Eines ist dabei klar: Es reicht nicht unser zukünftiges Wirtschaften auf erneuerbare Energien umzustellen. Wir müssen uns fragen, wo und wie in der Zukunft Wachstum stattfinden soll und schlussendlich auch, ob ein verantwortungsvoller Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden, also begrenzten Ressourcen, unter dem Diktat des jährlichen, also qua Definition unbegrenzten Wachstums, überhaupt möglich ist?

Wir beschäftigen uns mit Technologie und Politik, der Verantwortung der Einzelnen und schlussendlich natürlich der Frage: Wie wollen wir als Gesellschaft zusammenleben? Dafür greifen wir weniger auf bestehende künstlerische Positionen und mehr auf technologische, journalistische und politische Texte und Ideen für die Zukunft zurück. In den meisten Zukunftsvisionen ist der Verkehr neben der erneuerbaren Energieerzeugung und der nachhaltigen Landwirtschaft das Schlüsselthema.

Im Künstlerischen setzen wir uns mit Positionen des Empowerment, also der Selbstermächtigung auseinander, die für uns, DIE HAPPY FEW, das entscheidende Bindeglied zwischen Politik und Kunst ist. Konkret heißt das, dass wir uns mit Bewegungen wie Fridays for Future auseinandersetzen, die sich in ihren Protesten auch künstlerischer Ausdrucksformen bedienen, sie auf wunderbare Weise adaptieren und weiterentwickeln.

Wenn ihr einen Parkplatz auf Dauer umgestalten könntet, wie würde dieser dann aussehen? Wo befindet er sich und warum ausgerechnet dort?

Die einzelne Parklücke hat viele Potentiale. Wir sehen hier vor allem die Chance einen eigentlich Öffentlichen, also einem Raum, der jedem und jeder zur Verfügung stehen sollte, wieder zu einem solchen zu machen. Im Moment stehen auf öffentlichen Parkplätzen vor allem private Autos und das im Schnitt 23 Stunden pro Tag. Was könnten wir als Gesellschaft aus diesen Möglichkeitsräumen machen, wenn wir diese Räume wieder der Allgemeinheit zur Verfügung stellen?

Wir würden uns freuen, wenn diese Freiräume genützt würden, um zu mehr Verständigung in der Stadt, im Viertel, im Quartier und in der Anliegerstraße zu führen. Wenn wir Räume schaffen können, in denen Nachbar*innen vermehrt miteinander sprechen, sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen, dann haben wir alle gewonnen. Damit nehmen wir gleichzeitig auch dem Rechtspopulismus den Raum, der wie der Individualverkehr auf eine Separation der Bürger*innen gerichtet ist, ‚wir gegen die Anderen’, dagegen wollen wir uns verwehren.

Konkret möchten wir gerne ein Autokino hinterlassen. Einen geparkten Kombi, der für alle offensteht und in dem eine monatlich wechselnde Auswahl von Filmen, on demand, auf der Windschutzscheibe projiziert, verfügbar ist. Hier könnten wir, auf dem Beifahrersitz oder im Kofferraum, den transitiven Raum des Automobils, den Ort der Möglichkeiten und seinen ganz eigenen Geruch, erleben ohne uns physisch zu bewegen und gemeinsam mit Nachbar*innen eine Reise unternehmen, die uns vielleicht weiterführt als der Kurzurlaub mit Easyjet auf Ibiza.

Wo dieser Ort sein soll? Er soll in jeder Straße sein und er soll in jeder Straße anders sein. Die Straße gehört uns allen und wir müssen nur vor die Haustür treten, das Auto stehen lassen, die Straße langspazieren und entdecken, was sie uns erzählt.

StattParkKultur: „Es war einmal in Westdeutschland“ mit DIE HAPPY FEW, 20. September, 12-18 Uhr, Krumme Straße, Detmold

Das Projekt wird vom Rat für Nachhaltige Entwicklung über den Fonds Nachhaltigkeitskultur im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Mobilitätskultur und Nachhaltigkeit“ gefördert.

Alle StattParkKultur-Termine finden sich hier.


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