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Nachruf auf Ludger Schnieder: Wegbereiter der Freien Darstellenden Kunst

von Harald Redmer, ehemaliger Geschäftsführer des NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste

Das Blöde ist, dass man ihn nichts mehr fragen kann. Welche Gruppen, welche Künstlerinnen und Künstler haben dich in letzter Zeit besonders beeindruckt? Was soll ich mir unbedingt ansehen? Wo geht die künstlerische Entwicklung der Szene hin? Was wird der nächste Mainstream in der Freien Szene?

Ludger Schnieder war eine Ausnahmeerscheinung. Es gibt nur Wenige mit so profundem Wissen über die Performing Arts international mit all ihren Varianten und Spielarten von der Performance bis zum Neuen Zirkus. Seine Reisen quer durch die Welt waren der Fundus aus dem er sein Wissen bezog. Er war ja von Beginn seiner Arbeit für das Pumpenhaus Münster an in allen möglichen Ländern der Welt auf der Suche nach starken künstlerischen Arbeiten, die er dann nach NRW holte - im Verbund mit anderen Freien Häusern oder nicht selten im Alleingang. Produktionen jenseits des klassischen Theaters, oft im wüsten Mix aller Genres und Formate.

Mit klarem Blick für Qualität holte er Gruppen wie Dumb Type, Forced Entertainment, ODIN Teatret, Rosas, Campo, Künstler*innen wie Meg Stuart, Alain Platel, Marie Brassard, Louise Lecavalier, Jan Decorte nach NRW. „Gutes Zeug“ auf der Bühne „mit guten Leuten“ – so sein bewusst schnodderig formulierter Anspruch.

Das war schon früh Herausforderung, Inspiration und Ansporn für Gruppen und Künstler*innen der hiesigen Szene. Pioniere wie Ludger eröffneten Perspektiven für unsere freischaffenden Künstler*innen und überhaupt für die Kultur in NRW und letztlich weit darüber hinaus.

Mit seinem Anspruch hat er das „Standing“ der Freien Szene lokal, regional und überregional entscheidend mitgeprägt, Impulse gesetzt und Weichen für die Zukunft gestellt. Internationale Partnerschaften, Koproduktionen und Austausch über die Grenzen hinaus gehören mittlerweile zum Standard der Freien in NRW. Auch für die Festivals der Szene wie etwa für unser Festival FAVORITEN war und ist dieser Blick über den Tellerrand unabdingbar.

„Gutes Zeug mit guten Leuten“, Maßstab für Kunst, nicht immer einfach zu erfüllen.

Ludger war bis 2013 lange Jahre im Vorstand unseres Verbandes, der seinerzeit noch Landesbüro Freie Kultur hieß. Er wusste um die besondere Geschichte des Vereins als selbstverwalteter Vertretung der Szene, dessen Gründung in die Frühphase der sich organisierenden freien Theaterleute in NRW fiel. Die Kooperative Freier Theater NRW – sozusagen die Urorganisation der Freien Theatermacher in unserem Bundesland - wurde ja bereits im Jahr 1984 gegründet, nicht zufällig fast zeitgleich mit der Gründung des Pumpenhaus, das unter kollektiver Führung mit gehörigem Selbstbewusstsein und gesellschafts- und kulturkritischem Anspruch in provokativer Ergänzung zu den etablierten Institutionen eröffnete. Ludger gehörte zum Pumpenhaus von Beginn an. Er blieb, bei aller Internationalisierung, bei allem Wissen um kulturpolitischen Wandel und aller Anerkennung der Freien durch das mittlerweile von uns überzeugte „Establishment“, der Idee dieser Ur-Bewegung im Kern immer treu. Es ging immer um Kunst, die im besten Sinne frei ist - schräg, experimentierfreudig, mutig, ästhetisch vielschichtig, intellektuell auf der Höhe und gesellschaftlich engagiert.

In Ludger fand ich in meiner Zeit als Geschäftsführer des Landesbüros immer einen klugen Berater und verlässlichen Wegbegleiter. Er unterstützte mich insbesondere in der krisengeschüttelten Anfangsphase meiner Arbeit nach Kräften und freute sich über die erfolgreiche Entwicklung und gestiegene Bedeutung des Landesbüros bis in jüngste Zeit unter der Leitung von Ulrike Seybold. Er wusste nur zu gut um das feine Beziehungsgeflecht von inhaltlichem Anspruch, politischen Gestaltungsmöglichkeiten und Verwaltungshandeln. Die Schwerfälligkeit von Förderstrukturen beklagten wir oft genug gemeinsam. „Warum gibt man den Leuten nicht einfach verlässliches Geld, damit sie verlässlich vernünftig arbeiten können?“ Sein Verhältnis zur Verwaltung war – wie könnte es anders sein - durchaus ambivalent. Strategisch auf dem Punkt, wenn es um die Interessen seines Hauses ging, aber mit leidgeprüftem Blick, wenn es um Abrechnungen und Rechnungsprüfungen ging. Beim Stichwort Geld erinnere mich gut an Ausreden über Geld, einem gemeinsam veranstalteten Abend im Jahr 2016 mit über 100 Teilnehmer*innen und hochkarätigen Beiträgen im Pumpenhaus über den Zusammenhang von Kunst, Förderpolitik und sozialer Verantwortung. Nun, seitdem hat sich in NRW einiges zum Positiven für unsere Szene geändert. Das sah auch Ludger so, aber er sah auch die noch verbleibenden Lücken.

Ich danke Ludger nicht zuletzt für die Unterstützung meiner Rückkehr auf die Bühne im letzten Jahr. Auf meinem Schreibtisch liegt noch eine Abhandlung über das „Erhabene“, die er mir im Zusammenhang mit meiner Produktion „Pathos“ bei einem gemeinsamen Bier geliehen hat. Auch dazu werde ich ihn nun nicht mehr befragen können.

Ludger mit seinem streitbaren Geist und seinem unerschütterlichen Herz für die Freie Darstellende Kunst fehlt unersetzlich.

Dank für deinen Verstand und dein Herz, mein Lieber.

Harald Redmer

(Münster / Dortmund Februar 2023)