Massive Kürzungen an der Spitze: Die Gesamtförderarchitektur der Freien Szene steht infrage
Die Spitzen- und Exzellenzförderung für die Bereiche Theater und Kinder- und Jugendtheater soll nicht nur drastisch gekürzt werden, sondern auch in der Systematik wesentlich verändert werden. Dies kommt einer Zerschlagung der bisherigen Förderarchitektur gleich.
10.05.2025 Nach Monaten des Stillstands und des Schweigens gab das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW (MKW NRW) nun Antworten auf die Frage nach der Zukunft der wichtigen dreijährigen Förderprogramme für die Freien Darstellenden Künste.
Konkret gibt es nun zumindest Aussagen zur Exzellenz- und Spitzenförderung Theater und zur Spitzenförderung Kinder- und Jugendtheater, den beiden Förderlinien mit dem größten Zeitdruck, da die aktuelle Förderperiode zum 30.06.2025 ausläuft: Insgesamt soll hier in Zukunft nur noch knapp die Hälfte der bisherigen Summe zur Verfügung stehen. Die grundsätzliche Begründung seitens des Ministeriums ist die unkalkulierbare Haushaltslage für die Jahre 2026 ff.
Diese Nachricht bereits ist katastrophal für die Freie Szene in NRW: Zum einen wird die extreme Kürzung diversen renommierten Theatergruppen, die sich teils seit weit über zehn Jahren in Landesförderung befinden, die Existenzgrundlage nehmen - und das mit einer Kurzfristigkeit, die so gut wie keine Zeit mehr lässt, einen Plan B zu entwickeln. Die Kürzung wird aber vor allem auch dazu führen, dass sowohl dem Publikum in NRW weniger qualitätsvolle Kunst zur Verfügung stehen wird als auch die Strahlkraft NRWs über seine Grenzen hinaus sinken wird.
Absolut nicht nachvollziehbar ist darüber hinaus aber, warum jenseits der Budgetreduktion nun auch noch für zwei Bereiche einer bislang identischen Förderung strukturell unterschiedliche Wege gegangen werden sollen:
Im Bereich des Theaters für erwachsenes Publikums soll die ursprüngliche Systematik erhalten bleiben und "nur" die Anzahl der geförderten Gruppen und Ensembles um knapp die Hälfte reduziert werden. Statt bislang drei Plätzen in der Exzellenzförderung (je 100.000 Euro/Jahr) und acht Plätzen in der Spitzenförderung (je 80.000 Euro/Jahr) sollen nun nur noch zwei Plätze in der Exzellenzförderung und vier Plätze in der Spitzenförderung vergeben werden. Das jährliche Gesamtbudget sinkt damit von 940.000 Euro auf 520.000 Euro.
Im Bereich Kinder- und Jugendtheater jedoch soll die Spitzenförderung in der bestehenden Form abgeschafft werden. Stattdessen sollen neue Förderflüsse etabliert werden. Bislang standen hier sechs Plätze mit einer Fördersumme von je 80.000 Euro pro Jahr zur Verfügung, insgesamt also 480.000 Euro. Diese Summe soll nun auf insgesamt nur noch 240.000 Euro jährlich reduziert werden, wovon jedoch nur noch 120.000 Euro an Gruppen der Freien Szene gehen sollen. Die restlichen 120.000 Euro sollen künftig an institutionell geförderte Häuser des Theaters für junges Publikum fließen.
Die 120.000 Euro, die weiterhin den Gruppen der Freien Szene zur Verfügung stehen sollen, werden jedoch auch nicht wie bisher in einem offenen Juryverfahren verteilt werden. Die Mittel sollen als Dauerförderung an vier der sechs aktuell geförderten Gruppen gehen - und zwar an die, die sich am längsten in der bisherigen Spitzenförderung befunden haben. Jede dieser vier Gruppen soll künftig 30.000 Euro statt bislang 80.000 Euro jährlich erhalten.
Eine konzeptionelle Erklärung für diese Neuausrichtung des Bereichs Theater für junges Publikum war bislang aus dem Ministerium nicht zu bekommen. Diese Entscheidung ist aus Sicht eines Fachverbandes nicht nur inhaltlich erstaunlich und zerschlägt die Logik eines etablierten und bundesweit einzigartig geltenden Gesamtfördersystems – sie steht auch im eklatanten Gegensatz zur Aussage von Frau Ministerin Brandes im Ausschuss für Kultur und Medien des Landes vom 16.01.2025 (siehe Protokoll, S. 45). Wie im Wortprotokoll nachzulesen ist, beschrieb die Ministerin zwar bereits zu diesem Zeitpunkt die finanziellen Unwägbarkeiten, beteuerte aber, dass an der Struktur der überjährigen Förderprogramme nichts geändert werden solle.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht klar, was dies alles konkret für die neuen Ausschreibungsprozesse heißt. Jedoch ist definitiv abzusehen, dass keine lückenlose Anschlussfinanzierung ab Juli 2025 möglich sein wird. Selbst unter normalen Umständen könnte ein seriöses Verfahren vom jetzigen Zeitpunkt aus frühestens zu einer Juryentscheidung ab September 2025 führen. Die verschärfte und veränderte Situation erfordert jedoch, dass auch hier Prozesse neu gedacht werden müssen.
Dass es für die Zeit bis dahin wenigstens eine Art Übergangsfinanzierung für die Gruppen geben könnte, will das MKW NRW zumindest noch nicht gänzlich ausschließen. Eine verbindliche Aussage gibt es jedoch nicht - im Gegenteil wurde bereits verstärkt darauf hingewiesen, dass auch für das Jahr 2025 weniger Geld zur Verfügung stünde als geplant. Eine klare Antwort darauf, warum nicht zumindest die Gelder, die ja eigentlich für die Förderlinien für das zweite Halbjahr 2025 in der ursprünglichen Höhe von 710.000 Euro einkalkuliert sein müssten, für eine solche Zwischenlösung verwendet werden können, war bislang nicht zu bekommen.
Auch zur Zukunft der Konzeptionsförderung und der Spitzenförderung Tanz gibt es bislang keine Aussagen. Dabei startet die nächste Förderperiode der Konzeptionsförderung bereits zum 01.01.2026 und müsste auch aktuell ausgeschrieben werden. Durch die massive Kürzung im Bereich der Exzellenz- und Spitzenförderung ist bereits jetzt zu erwarten, dass sich der Druck auf die anderen Förderprogramme deutlich erhöhen wird.
Wir fordern das MKW NRW und die Landesregierung auf, diese für die Freie Szene fatalen Entscheidungen finanziell und inhaltlich zurückzunehmen und gemeinsam mit den Fachverbänden und Akteur*innen nach Lösungen zu suchen, wie trotz der angespannten Haushaltslage weiterhin der Blick auf die mittelfristige Gesamtentwicklung einer Szene gelingen kann – ohne dass durch kurzfristige Einzelentscheidungen ein gewachsenes System irreparabel beschädigt wird. Eine Übergangsfinanzierung für die akut betroffenen Gruppen würde hierfür zumindest etwas Zeit und Raum schaffen.
NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste e.V.